Teil 2 der Serie
(Was bisher geschah könnt Ihr in Teil 1 nachlesen.)
Ein halbes Jahr schon stehen Hanna und Mini jetzt in ihrem kleinen Second Hand Geschäft und ein neuer Alltag ist in das Leben der beiden alleinerziehenden Mamas eingezogen. Morgens sind die Freundinnen gemeinsam im Laden, nachmittags, wenn alle Kinder von der Schule nach Hause kommen, wechseln sich die Zwei im Geschäft und mit der Betreuung ab. Hanna ist außerdem für die Buchhaltung zuständig und Mini für die Reinigung und das Bügeln der neu angekauften Ware. Das Leben der zwei Familien ist nicht einfacher geworden, dafür aber schöner und langsam auch finanziell entspannter.
„NewVintage“ trägt sich mittlerweile selbst und hat viele liebenswerte Stammkunden gewonnen. Und weil die gerne auch mal auf ein Schwätzchen bleiben, haben Mini und Hanna in ein gebrauchtes Sofa investiert und in einen Kaffeevollautomaten. Eine kleine Spielecke rundet die gemütliche Wohnzimmer-Atmosphäre ab und gepaart mit der guten und ehrlichen Beratung, lockt das Konzept täglich neue und alte Kunden in den kleinen aber feinen Laden.
Jeden Abend bringen zwei sehr zufriedene Mamas ihre Kinder zu Bett und strecken im Anschluss die müden Knochen auf dem heimischen Sofa oder dem Balkon-Liegestuhl aus. Und jeden Abend sind diese Mamas dankbar für die glückliche Wendung in ihrem Leben.
Heute ist es Mini, die bei einem Glas Rotwein dem nahenden Sonnenuntergang entgegenblickt und sich an Zeiten erinnert, in denen so eine Ruhe und so ein innerer Frieden undenkbar gewesen wären:
Ihre mittlerweile geschiedene Ehe hatte von Anfang an unter keinem guten Stern gestanden. Viel zu vehement war ihre damalige Schwiegermutter gegen sie und die Verbindung gewesen. Sie hatte keine Gelegenheit ausgelassen, den eigenen Sohn negativ zu beeinflussen und kleine gemeine Spitzen zu verteilen. Doch Mini hatte dieses Benehmen, stur wie sie ist, ignoriert und trotzig „Ja“ gesagt.
Von diesem Tag an war sie einer Beziehung gefangen gewesen, die ihr auf keiner Ebene gut getan hatte. Ihr Ex-Ehemann, ein kleines Licht auf der familiären Torte und die gefühlte ewige Enttäuschung seiner Eltern, hatte sein geringes Selbstwertgefühl damit aufgewertet, dass er Mini komplett untergebuttert hatte. Aus der quirligen Mini war die langweilige spießige Astrid geworden. Eine Frau ohne jede Selbstliebe und Selbstbewusstsein, die täglich darauf bedacht gewesen war einer Schwiegermutter zu gefallen, die sie gar nicht gern haben wollte und egal, was Astrid auch getan hatte, es war nie gut genug gewesen.
Was genau den Impuls zur Trennung gegeben hatte, kann sie heute nicht mehr sagen. Sie war einfach irgendwann an dem Punkt angelangt gewesen, an dem sie das Gefühl hatte in dieser Ehe ersticken zu müssen, wenn sie noch eine Sekunde länger bleiben würde. Also hatte sie eines Vormittags die wichtigsten persönlichen Sachen eingepackt, den beiden Kindern erzählt, dass sie ein Abenteuer begehen würden und war mit ihnen in eine Ferienwohnung im Nachbarort gefahren. Von dort aus hatte sie die Sachen mit den Ämtern geregelt, sich einen Rechtsanwalt besorgt und vier Wochen später die ersten Möbel in die neue jetzige Wohnung geschleppt. Voll beladen mit einem Umzugskarton und darauf gestapelten Oberbetten, war sie dabei blind in die nette Frau von gegenüber gerannt – Hanna.
Es war Freundschaft auf den ersten Blick gewesen und ein gemeinsames Anpacken und Helfen von der ersten Sekunde an. Mit Hannas Hilfe war an diesem Tag die spärliche Habe der Seiferts Ruck Zuck in den neuen vier Wänden verstaut gewesen und im Laufe der nächsten Monate auch wieder aus Astrid das lebensfrohe Energiebündel mit dem Spitznamen „Mini“ geworden.
Bei den Gedanken an diese Anfangszeit muss Mini lächeln. Turbulent und oft auch nervenaufreibend waren die ersten Monate gewesen, aber auch voller neuer wunderbarer Momente. Die kleinen Katastrophen meisterten und meistern die Freundinnen oft gemeinsam und so hatte auch Mini Hanna und ihren Jüngsten ins Krankenhaus gefahren, als dieser sich beim Spielen verletzt hatte.
Paul war beim Toben vom Hochbett gefallen und seine Stirn hatte den Sturz mit Hilfe der Holzbanklehne abgebremst. Kreidebleich kam Simon, der Älteste, zu Mini in die Wohnung gerannt – sie und Hanna waren dort mit der Renovierung des Wohnzimmers beschäftigt – und berichtete atemlos von Paul, Blut und einem Loch im Kopf. Im Schubertschen Badezimmer angekommen, saß ein stummer Paul auf dem Toilettendeckel, umringt von seinen vier besten Freunden, die ihn abwechselnd streichelten oder mit einem kalten Waschlappen kühlten. Nach einem kurzen Blick von Mini war klar: die Kopfplatzwunde musste im Krankenhaus genäht werden.
In der Notaufnahme war der kleine Mann ein ganz Tapferer und verzog im Gegensatz zu seiner Mama keine Miene. Dass er den Absturz ohne schlimmere Folgen überstanden hatte, bewies sein Blick in den Spiegel: „Guck mal Mama, meine Narbe sieht aus wie ein „L“. Jetzt habe ich den Anfangsbuchstaben von meinem besten Freund für immer über dem linken Auge.“
Der besagte beste Freund saß übrigens ein paar Wochen später nackt oben auf der Zwergtrauerweide vor dem Haus. Warum? Weil Louis unbedingt hinaufklettern wollte und sich dann nicht wieder hinunter traute. Da er dringend zur Toilette musste, blieb ihm nichts anderes übrig als sich in die Hose zu machen, die nassen Klamotten auszuziehen und dann vom Baum zu werfen. Die Freunde kosteten den Anblick natürlich erst einmal ausgiebig aus, bevor sie seine Mama zur Hilfe holten.
„Mama, ich kann nicht schlafen. Ich habe Bauchschmerzen.“ eine kleine Hand berührt Mini an der Schulter und reißt sie aus den Gedanken. „Ach Louis, das ist ja doof. Soll ich Dir Deinen Beddy Bären warm machen?“ „Kann ich erst mit Dir kuscheln? Ich will nicht so gerne alleine sein.“ „Na klar, komm her.“ Louis krabbelt seiner Mama auf den Schoß und kuschelt sich in ihren Arm. Gemeinsam betrachten die beiden die untergehende Sonne.
1 Comment